Interview mit Alumnus Prof. Dr. Dietrich Maier

Dr. Dietrich Maier

Prof. Dr. Dietrich Maier wurde 1944 in Heidelberg geboren und studierte zunächst Chemie (1963-1968), später Chemieingenieurwesen an der Universität Karlsruhe. 1972 ging er in die Praxis und wurde 1976 Laborchef bei der Bodenseewasserversorgung. Dort erhielt er den Nachwuchspreis für junge Chemiker und später weitere Auszeichnungen. Schon früh entwickelte er einige Patente, die er verkaufte. Auf Anraten von Prof. Heinrich Sontheimer habilitierte er sich.

Im Jahr 2004 gründete er die Europäische Brunnengesellschaft e.V., ein Jahr später die International Water Aid Organisation (IWAO). 2009 erhielt er für sein ehrenamtliches Engagement für die Trinkwasseraufbereitung in Nothilfegebieten das Bundesverdienstkreuz am Bande.

Heute leitet er eine Forschungsgruppe im Heinrich-Sontheimer-Laboratorium im Wasserwerk Durlacher Wald der Stadtwerke Karlsruhe, betreut momentan 4 Doktoranden und will auch zukünftig sein Wissen und sein Engagement in den Dienst der Notwasserhilfestellen.

Er ist Mitglied der Hochschulgruppe Ingenieure ohne Grenzen. Im Dezember 2009 wurde ihm der Dr. hC.science der Universität Ruhuna auf Sri Lanka verliehen.

Mit einer Million Chlortabletten verpackt auf drei Europaletten reiste Prof. Dr. Dietrich Maier im Januar nach Haiti, um eine Grundversorgung mit sauberem Wasser in einem Grenzkrankenhaus für 2.000 Patienten sowie Ärzte und Helfer vor Ort herzustellen. Wasser ist das Element des 66-Jährigen, der das Bundesverdienstkreuz am Bande trägt.

Warum er sich dem Wasser so verbunden fühlt und wie seine Zukunft aussieht, erzählt er im Gespräch mit Claudia Reichert

Herr Prof. Dr. Maier, Ihr Doktorvater Prof. Sontheimer hat das Sontheimer-Laboratorium hier im Durlacher Wald gegründet. Woran erinnern Sie sich am liebsten, wenn Sie an Ihre Studienzeit denken?
Nachdem ich den Nachwuchspreis für junge Wasserchemiker gewonnen hatte, habe ich mich auf Anraten von Prof. Sontheimer habilitieren lassen. 1981 war dann der ereignisreiche Tag meines Habilitationskolloquiums im Engler-Bunte-Institut an der Universität.

Am liebsten erinnere ich mich in dem Zusammenhang an die Wasserchemie und meine Zusammenarbeit mit Prof. Sontheimer. Nachdem ich im Jahr 1966 zu spät dran war für den gewohnten Ferienjob bei Pfizer in Karlsruhe, riet mir ein Uni-Professor doch „beim neuen Kollegen in der Wasserchemie“ nach einem Job zu fragen. Damals erstellte Prof. Sontheimer vom Lehrstuhl für Wasserchemie gerade ein Gutachten über die mögliche Verschmutzung des Bodensees durch eine neue Öl-Pipeline.

Öl-/Wasser-Gemische mussten in 30-Liter-Flaschen gerührt werden und so wurde ich als Flaschenspüler eingestellt.

Und wie wurden Sie persönlicher Assistent von Prof. Sontheimer?
Die Arbeit hat mir unheimlich Spaß gemacht, weil ich dort mitdenken konnte und schließlich bin ich sehr schnell auf eine eigene Idee gekommen. Der Zufall wollte es, dass Prof. Sontheimer zur Tür reinkommt und gerade sieht, wie ich entgegen den Anweisungen das Öl im Ganzen zu rühren, das Öl destillierte, um es dann in einzelnen Fraktionen zu rühren. So habe ich festgestellt, dass die niedersiedenden Mercaptane das Wasser stark verschmutzten. Er hat mich sofort gefragt, ob ich nicht freitags und samstags persönlich bei ihm arbeiten möchte. Das hat mein ganzes Studium begleitet.

Heute heißt Ihre Alma mater Karlsruher Institut für Technologie. Was halten Sie von dieser Entwicklung?
Ich halte sehr viel von dieser Symbiose zw. Universität und Forschungszentrum, insbesondere weil die Wege des Wasserchemischen Instituts immer hinausgeführt haben zum damaligen Kernforschungszentrum in den Hardtwald. Ich habe draußen im Forschungszentrum schon als Student Abwasserreinigungsversuche gemacht, wo es darum ging, möglichst viel organische Materie in Pflanzenkläranlagen abzubauen. Von meiner Seite aus ist es eine schöne und konsequente Entwicklung. Ein bisschen wehmütig bin ich doch, dass man das Wort Universität Karlsruhe nun nicht mehr liest. Das tut einem, der dort studiert hat, ein bisschen weh. Das Ziel, das dahinter steckt, ist natürlich völlig klar und erfolgreich.

Sie sagen Sie sind im Wasser groß geworden. Inwiefern?
Weil ich als kleiner Junge schon immer an den Bodensee ziehen wollte, an dem ich später von 1972-1987 auch 15 Jahre als Laborchef der Bodenseewasserversorgung gearbeitet habe. Ich glaube, das sich immer für das Wasser berufen war. Ich bin im Zeichen des Wassermanns geboren und ich war als Junge Badischer Meister im Brustschwimmen und später Trainer der Uni-Schwimmer.

Aber meine Wasserbegeisterung hat mit dem Eintritt in das Sontheimische Institut begonnen. Ich habe dort mein erstes Patent gemacht. Damals gab es den ersten großen Ölunfall durch den vor England gesunkenen Öl-Tanker Torrey Canyon. Das hat mich schwer beschäftigt, weil man die Ölverschmutzung nicht in den Griff gekriegt hat. Damals hat man gerade die Chemietürme auf dem Campus gebaut und als Isolierstoff u. a. auch Styropor verwendet. Eines Morgens habe ich so einen Brocken aufgehoben und bin gleich ins Labor, weil ich überlegt hatte, ob dieser Schaumstoff nicht Öl aufsaugen könnte.

Es war wahnsinnig, denn die Wasseroberfläche wurde ölfrei. Ich habe es gleich als Patent angemeldet und dieses für 5.000 Mark verkauft. Da hatte ich wirklich das Gefühl etwas geleistet zu haben.

Bis heute wird dieses Ölbindemittel verkauft. Ich habe immer einen Sonderweg gesucht und war manchmal erfolgreich.

Wie sind Sie darauf gekommen?
Ich weiß es manchmal selber nicht. Ich wache mitten in der Nacht auf und habe eine Idee. Bei mir liegt auch immer ein Zettel und ein Stift am Bett. Ich bin kein Theoretiker, ich bin nicht der große Formel- und Gleichungenwälzer, sondern gehe immer wissenschaftlich praxisorientiert an die Dinge heran. Ich wollte immer in der Praxis bleiben und habe von außen die Kontakte mit der Uni geknüpft. In der Praxis habe ich Probleme erkannt und mit den Studenten der Uni konnte ich sie lösen.

Das war das Schöne an meinem Beruf. Gut, ich bin ja immer noch mittendrin. Ich höre ja nicht auf.

Wie ist es denn zu Ihrem ersten Nothilfeeinsatz gekommen?
Ich habe 2004 die Europäische Brunnengesellschaft gegründet, weil man in Karlsruhe aus Kostengründen fünf Brunnen stilllegen wollte. Das habe ich in der Zeitung gelesen und mir gesagt „Das geht nicht mit mir“. Brunnen sind die ältesten Kulturstätten der Menschen. Wo ein Brunnen war, war eine Siedlung, wo keiner war, war keine Siedlung.

Der erste Einsatz war 2005 nach dem Tsunami. Damals waren wir gerade mal 8 Monate alt und hatten 1.200 € in der Kasse. Ich habe eine Wasseraufbereitungsanlage gekauft, die Salzwasser zu Süßwasser aufbereiten konnte.

Mit dieser sind wir auf den ersten Einsatz geflogen. Heute noch ist die Anlage an der Universität Matara im Zentrum von Sri Lanka in Betrieb. Sie bereitet dort abgepacktes Wasser auf Vorrat. Die Anlage hat 100.000 € gekostet, die ich über Spenden zahlen konnte.

Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung des Bundesverdienstkreuzes am Bande?
Sehr viel. Wir, als Europäische Brunnengesellschaft, haben auch den Bürgerpreis 2009 bekommen. Ich bin mir immer bewusst: Es ist eine Gemeinschaftsleistung. Wir haben überhaupt nicht damit gerechnet und wurden vorgeschlagen. Ich beziehe alle, die mitgeholfen haben, als Preisträger mit ein. Alle, vom Installateur, der die Schläuche zusammengebaut hat, bis hin zur Laborantin waren zur Verleihung mit eingeladen.

Vor ein paar Wochen flogen Sie mit Ihren Kollegen nach Haiti ins Erdbebengebiet. Was konnten Sie dort erreichen?
In Haiti haben wir die größte Hilfe geleistet, die man sich an der Stelle vorstellen kann. Ich bin zusammen mit Heinz Knoll von der International Water Aid Organisation mit 1 Mio. Chlortabletten nach Haiti gereist und wir haben dort in einem Krankenhaus, das anstelle des Tiefbrunnenwassers (welches nach dem Erdbeben unterirdisch weggelaufen war) Bachwasser verwendet hat, hygienisch einwandfreies Trinkwasser aufbereitet. Dieses Oberflächenwasser war vollkommen kontaminiert, was wir über die Messung des Fäkalindikators Escherichia Coli festgestellt haben.

Bei allem untersuchten Wasser bestand der Verdacht der Verunreinigung mit Krankheitserregern.

Wir haben dann innerhalb eines Tages das Wasser des Krankenhauses auf eine Chlorkonzentration von 4mg/Liter gebracht. Eine hohe Chlorkonzentration, aber so konnte man wirklich sicher sein. Dann haben wir die Ärzte und Nothelfer informiert, ich habe eine Warnschrift an die große Tafel im Eingangsbereichgehängt, das war wirksam. Der Vorrat reicht nun für ein halbes Jahr.

Wie waren die Bedingungen für die Nothelfer vor Ort? Wo haben Sie geschlafen?
In Haiti konnte ich nur schlecht schlafen, obwohl ich unheimlich müde war.

Schlimm waren die Bilder, die man verarbeiten muss. Heute Nacht habe ich auch wieder von dem Krankenhaus geträumt. Es waren 2.000 Leute in einem 150-Betten-Krankenhaus und ich glaube es war wie im Krieg im Lazarett.

Die Patienten lagen auf dem Boden, haben total gelitten und es musste ständig operiert werden. Ich musste auf dem Weg zum Dach, wo ich die Chlorkonzentration in meinen Trinkwasser-Behältern gemessen habe, täglich mehrmals durch die OP-Bereiche. Unsere Unterkunft war sehr einfach. Wir haben zu zweit auf ca. 6 qm bei einer alten Frau für 10 Dollar pro Nacht in einer Kammer übernachtet und bekamen jeden Morgen noch ein Frühstück mit Eiern, Zwiebeln und einem Fladen. Sonst lebt man von den Dingen, die es vor Ort gibt. Kokosnüsse, deren Wasser man bedenkenlos trinken kann, Bananen und abends haben wir an der Straßenecke Hühnchen und Kochbananen gekauft. Man darf als Helfer nicht krank werden und muss mit der Verpflegung sehrvorsichtig sein. Die Chlortablette war auch für uns sehr wichtig.

Welchen Stellenwert hat die Versorgung der Bevölkerung mit sauberem Wasser?
Das ist die wichtigste Vorsorgemaßnahme für das Leben überhaupt. Nicht krank werden durch Wasser ist das erste Ziel, auch bei uns in Deutschland. Deshalb haben wir so strenge Richtlinien und die Deutsche Trinkwasserverordnung.

In wichtigsten Satz steht: Wasser muss frei sein von Krankheitserregern. Als Trinkwasserexperten leisten wir im Katastrophenfall zusammen mit den Ärzten immer eine überlebenswichtige Hilfe. Was nutzt ein Krankenhaus, wenn die Wunden wieder eitern, weil das Wasser infiziert ist? Ich glaube, dass der Stellenwert sauberes Wasser sehr groß ist.

Wie finanzieren Sie Ihre Aktivitäten?
Nur über Spenden. Ich habe da aber auch gar keine Sorge. Es ist eine Aufgabe für die Menschheit. Wenn jemand wie ich so ein Risiko auf sich nimmt und ohne Geldreserven 100.000 € ausgibt, um eine wichtige Wasseraufbereitungsanlage zu kaufen, dann wird doch wohl einer in dieser Stadt das auch kapieren?

Und viele Spender haben das kapiert. Spender sind skeptisch, daher mache ich die Spendenaufrufe persönlich. Und: Sie müssen selbst im Katastrophenland vor Ort sein, das ist wichtig! Wir sammeln kein Geld und geben es irgendeiner Hilfsorganisation weiter. Nein, wir sind so klein und übersichtlich, aber auch so gut, dass wir sagen wir machen das selbst und haben dann auch keinen Verwaltungsaufwand.

Wir geben auch auf den Cent genau eine Kostenabrechnung.

Mit den Ingenieuren ohne Grenzen der Universität Karlsruhe hatten Sie ein Projekt. Ausgestattet mit 5.000 € sind die Studierenden nach Sri Lanka geflogen und haben dort Zisternen mit landesüblichen Mitteln, wie Bambus und Vogelkäfigdrahtgebaut. Welche Beweggründe haben die Studierenden für einen solchen Einsatz?
Das sind Bauingenieure, Geoökologen, Maschinenbauer, alle mit ganz unterschiedlichen Sichtweisen. Wenn dann einer kommt und sagt „Wir machen was zusammen“, dann ist Begeisterung da. Die 5.000 € hatten wir noch übrig, aber die Studenten haben ganz wenig verbraucht.

Was brauchen die Studierenden von heute Ihrer Meinung nach, um beruflich erfolgreich zu sein?
Ein Student sollte relativ schnell wissen, was er werden will und wo er hin will.

Und wenn er das weiß, dann muss er für den Beruf brennen. Der muss das mit aller Macht wollen und das ist die wichtigste Voraussetzung.

Das erkennt jeder in der Industrie und jeder im Öffentlichen Dienst. Das Engagement eines Studenten ist das Wichtigste in meinen Augen. Er muss sich wirklich klar zu einer Sache bekennen und sagen „Das ist mein Ding“. Ich nehme überhaupt nur Studenten, die brennen.

Vor kurzem sind Sie 66 Jahre geworden. Wie sieht Ihre Zukunft aus?
Meine Zukunft wird mit Sicherheit solange in der wissenschaftlichen Betätigung und in der Notwasserhilfe für die Armen der Welt liegen, solange ich das gesundheitlich machen kann. Da kann ich Ihnen gar kein Alter nennen. Man ist so alt, wie man sich fühlt. Und ich fühl mich im Augenblick noch verdammt jung.