Damit wir mit einem blauen Auge davon kommen
Alumnus Volker Quaschning fordert eine vollständige Umstellung auf regenerative Energien.
Kann der weltweite Energiebedarf bis 2050 allein durch regenerative Energien wie Wind- und Sonnenkraft gedeckt werden? Alumnus Prof. Volker Quaschning hält das für möglich und vor allem notwendig. Im Gespräch mit AlumniKaTH erklärt der Professor für Regenerative Energien in Berlin, der in Karlsruhe Elektrotechnik studierte, wie die Umstellung gelingen kann.
Herr Prof. Quaschning, schon während Ihres Studiums engagierten Sie sich als Umweltreferent. Woher kam dieses frühe Interesse und Engagement für die Umwelt?
Studierende sind immer sehr offen für neue gesellschaftliche Ideen. Zu meiner Studienzeit war unter vielen Studierenden das Umweltbewusstsein recht gut ausgeprägt. Mich nur mit technischen Inhalten zu beschäftigen, war mir damals schon zu wenig. Daher habe ich mich aktiv in der Fachschaft engagiert und das Umweltreferat initiiert.
Ich habe damals bereits gelernt, dass man gemeinsam viel erreichen kann. Wir druckten alle Übungsklausuren auf Recyclingpapier und bewegten die Copyshops und die Hochschule dazu, Umweltschutzpapier zu verwenden. Bei den Papiermengen, die beim Studium entstehen, war das durchaus ein beachtlicher Erfolg.
Dann habe ich meine Diplomarbeit im Bereich der regenerativen Energien absolviert. So bin ich zu den regenerativen Energien gekommen und bis heute mit großem Engagement in dem Bereich geblieben.
Auf Ihrer Homepage schreiben Sie, dass „100% erneuerbare Energien bis 2050 möglich“ sind. Wie ließe sich dieses Ziel verwirklichen?
Die verschiedenen Möglichkeiten zur Nutzung regenerativer Energien haben heute bereits einen hohen technischen Stand erreicht. Man muss die Anlagen eigentlich nur noch aufbauen. Das findet jetzt auch schon statt, nur reicht das Tempo für einen wirksamen Klimaschutz noch nicht aus. Durch den Zubau sinken derzeit auch die Kosten für regenerative Energien rasant. Photovoltaikmodule sind beispielsweise im Jahr 2009 rund 30 Prozent billiger geworden. Die Preise für herkömmliche Energien wie Erdöl, Erdgas oder Uransteigen hingegen stetig an, sodass regenerative Energien bereits in wenigen Jahren preiswerter sein werden. Technisch und ökonomisch wäre die Vision 100% regenerative Energien bis 2050 also problemlos zu erreichen.
Das größte Problem sehe ich eher in gesellschaftlichen und politischen Widerständen. Heute wird mit Erdöl und Atomkraft viel Geld verdient. Da gibt es unzählige Argumente, den Wechsel zu erneuerbaren Energien zu verzögern. Gelingt uns der Umbau bis 2050, werden wir hinsichtlich Klimaveränderungen noch mit einem blauen Auge davonkommen.
Sonst werden unsere Kinder und Enkel die Folgen „ausbaden“ müssen. Verändern wir die weltweite Energieversorgung nicht radikal, droht uns nämlich langfristig ein Anstieg der Meeresspiegel um 60 bis 70 Meter.
Was entgegnen Sie Kritikern, die bemängeln, dass mit erneuerbaren Energien nicht die sogenannte Grundlast des Energiebedarfs gedeckt werden kann, da z.B. die Sonne nicht ununterbrochen scheint?
Grundlast ist ein Begriff der konventionellen Kraftwerkstechnik. Die Idee dabei ist, Braunkohle- oder Kernkraftwerke aus ökonomischen Gründen durchlaufen zu lassen. Da der Mensch gar nicht so viel Grundlast braucht, weil er gemäß seiner Natur nachts lieber schläft, hat man in den 1950er-Jahren extra Nachtspeicheröfen erfunden. Wenn Kritiker nun bemängeln, dass wir Nachtspeicheröfen nicht mit Solaranlagen betreiben können, kann ich nur müde lächeln. Genauso gut kann man kritisieren, dass Autos ungeeignet für den Flugverkehr sind. Kombiniert man nämlich verschiedene regenerative Energien wie Windkraft, Photovoltaik und Biomasse intelligent miteinander, kann der aktuelle Strombedarf problemlos dauerhaft gedeckt werden. Das haben Feldversuche wie der des Kombikraftwerks bereits eindrucksvoll demonstriert.
Sonnenenergie für Europa soll in Zukunft auch in der Sahara gewonnen werden, Windkraft aus Offshore-Anlagen soll weitere Energieliefern. Kann Strom überhaupt über so weite Entfernungen transportiert werden?
Die Übertragung von Elektrizität über sehr große Entfernungen wird heute bereits in einigen Ländern praktiziert. Durch die Höchstspannungs-Gleichstromübertragung wäre ein Stromtransport auch aus der Sahara mit Verlusten von weniger als 15 Prozent zu realisieren. Dafür würden aber Solaranlagen in der Sahara durch das größere Sonnenangebot mehr als doppelt so viel Energie liefern wie bei uns. Da kann man die Verluste durchaus verschmerzen. Die Entfernungen von Offshore-Windkraftanlagen und die Verluste sind noch deutlich kleiner.
Die mit Wind oder Sonne gewonnene Energie lässt sich bisher nicht sinnvoll speichern. Wie könnte dieses Problem zukünftig gelöst werden?
Prinzipiell gibt es funktionierende Technologien wie Druckluftspeicher, die große Energiemengen zu akzeptablen Kosten speichern können. Aus Kostengründen ist es allerdings immer besser, Strom direkt zu verbrauchen anstatt ihn zu speichern.
Kombiniert man regenerative Energien großräumig miteinander, reduziert sich der Speicherbedarf erheblich. Wir haben niemals in ganz Europa gleichzeitig Flaute und überall bedeckten Himmel. Dadurch reichen vergleichsweise kleine Speicher aus.
Momentan wird auch überlegt, im Automobilbereich auf Elektromobilität umzusteigen.
Da Autos den größten Teil des Tages auf Parkplätzen unnütz herumstehen, könnten dann die Autobatterien auch als Netzspeicher mit genutzt werden.
Würden Sie zukünftigen Studierenden zu einem Studium im Bereich der erneuerbaren Energien raten? Wie sind die Chancen auf dem Arbeitsmarkt einzuschätzen?
Jeder sollte prinzipiell das studieren, wofür er sich interessiert. Ich würde niemandem zu einem technischen Studium raten, wenn er oder sie mit Mathe und Physik auf Kriegsfuß steht. Ansonsten ist das Fachgebiet extrem interessant, innovativ und abwechslungsreich. Viele Hochschulen bieten inzwischen Vertiefungen oder gar eigenständige Studiengänge zu regenerativen Energien an. Das älteste eigenständige Studium existiert an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin.
Bereits heute werden in Deutschland jährlich zweistellige Euro-Milliardenbeträge im Bereich der regenerativen Energien umgesetzt. 250.000 Jobs sind in den letzten Jahren entstanden. Die Jobchancen sind also vergleichsweise gut. Das sehen wir auch bei unseren Absolventen.
Was kann jeder selbst tun, um den Energieverbrauch zu senken?
Jeder von uns muss pro Jahr 2 Prozent an Treibhausgasen einsparen, wenn wir Norddeutschland durch die Klimaerwärmung nicht langfristig im Meer versenken wollen. Dazu gibt es viele Möglichkeiten.
10 Prozent lassen sich allein durch den Wechsel zu einem Anbieter von grünem Strom erreichen. Viele andere Einspartipps werden regelmäßig veröffentlicht und finden sich auch in meinem Fachbuch „Erneuerbare Energien und Klimaschutz“. Manche lassen sich durch bessere Technik erreichen, andere durch simple Maßnahmen:
Einfach mal das Licht ausmachen, wenn keiner im Raum ist. Bei uns in der Hochschule brennt in vielen leeren Seminarräumen und Hörsälen das Licht. Ich gehe oft durch die Gänge und schalte es dann aus. Einerseits ist das ein gutes Gefühl, denn pro Jahr lässt sich damit viel Kohlendioxidein sparen.
Andererseits ist es frustrierend, dass heute immer noch an vielen Orten so sinnlos Energie verschwendet wird!
Vielen Dank für das Gespräch!