Engagement für ein verlorenes Paradies
Nach seinem Studium wollte er für ein Jahr in die Welt ziehen und sich für einen guten Zweck engagieren. Mittlerweile lebt Philipp Ziser seit fünf Jahren in Burundi und leistet Entwicklungshilfe. Warum Entwicklungshilfe neben fördern auch fordern bedeuten muss und warum der Kulturschock erst bei einem Heimatbesuch in Deutschland kam, erzählt er im Interview mit Elke Schmidt.
Herr Ziser, 2006 sind Sie erstmals für die Hilfsorganisation burundikids e.V. in eines der ärmsten Länder der Erde gereist, um vor Ort Entwicklungshilfe zu leisten. Was hat Sie zu diesem Schritt bewegt?
ZISER: Laut „Welthunger-Index“ ist Burundi das ärmste Land der Welt… aber all das sind ja nur Statistiken. Und genau da liegt der Punkt: Um wirklich verstehen zu können, muss man selbst „mittendrin“ sein, es sich ansehen – und verstehen WOLLEN. In erster Linie bin ich ja nun aber Journalist, was eine gewisse Neugierde voraussetzt, und habe als solcher in Deutschland gearbeitet, schon vor und dann während meines Studiums in Karlsruhe. Nach Rücksprache mit meiner Redaktion war für mich klar, dass ich nach Abschluss des Studiums für ein Jahr „raus in die Welt“ gehe, um mein Können und Wissen in einen guten Dienst zu stellen. Es lief dann auf Burundi hinaus, was eher Zufall war, und dass ich die Presse- u. Öffentlichkeitsarbeit von burundikids e.V. – sowie des lokalen Partners in Burundi, Fondation Stamm – aufbaue. Letztendlich bin ich sehr froh, dass es Burundi wurde. Denn es gibt sehr viele Verbindungen zu Baden-Württemberg, insbesondere die neu erstarkte Partnerschaft der Länder.
Wie haben Sie ihre ersten Wochen vor Ort in Erinnerung, gab es einen Kulturschock?
ZISER: Im aktuellen Welthungerindex nimmt Burundi sogar den traurigen ersten Platz ein. – Dass ich nach dem Studium einmal etwas ganz anderes machen wollte, das stand für mich seit langem fest. Vor dem Abschluss an der Uni begann ich, mich zu informieren. Ich hatte den Gedanken, mit einer Hilfsorganisation ins Ausland zu gehen, um nicht nur herumzureisen, sondern auch etwas Sinnvolles zu tun, etwas für andere Menschen. Schließlich entschied ich mich für burundikids e.V., das ist ein kleiner Verein aus Köln. Die Vorsitzende Martina Wziontek, eine selbständige Architektin, schrieb mir sehr persönlich und interessiert. Man hat es hier mit Menschen zu tun. Und die Rahmenbedingungen stimmen. Insofern muss ich sagen: Dass es Burundi wurde, war schlicht und einfach Zufall – doch letztlich bin ich froh, hier gelandet zu sein, in diesem winzigen Land im Herzen Afrikas.
Welches sind Ihre Aufgaben bei burundikids e.V. bzw. bei der Fondation Stamm? Gab es schon Momente, in denen Sie an Ihrer Arbeit gezweifelt haben?
ZISER: Auf dem Papier steht „Öffentlichkeitsarbeit“. Allein das ist natürlich schon ein weitreichender Begriff. Da wir aber erstens eine recht kleine Organisation sind (es gab bis zu meiner Anstellung 2010 nur Ehrenamtliche bei burundikids e.V. und die Fondation Stamm beschäftigt ausschließlich einheimisches Personal) und zweitens auch sehr schmale Organisationsstrukturen pflegen, ist quasi jeder für alles mitverantwortlich. Die Fondation Stamm hat in acht Provinzen Projekte in unterschiedlichen Bereichen von Kinderheimen und Schulen über Gesundheitszentren bis hin zur Berufsausbildung und Umweltschutz, mit 136 einheimischen Mitarbeitern und einigen Tausend Schülern, Azubis, Kindern und Jugendlichen – bei gerade mal sechs Leuten in der Verwaltung. Ich selbst helfe bei der Konzeption und Koordination von Projektvorhaben, schreibe Berichte für die Partner, kümmere mich inhaltlich um die Internetauftritte und Social Networks, unterstütze das Fundraising, betreue die Mitarbeiter und helfe da aus, wo Not am Mann ist. Natürlich zweifelt man ab und zu an seiner Arbeit. Ich denke, das geht jedem so. Jedoch sind diese Momente ausgesprochen selten. Da wir eine lokale NGO sind und direkt mit der Bevölkerung zusammenarbeiten, sehen wir auch die direkten Erfolge, den Fortschritt, die Auswirkung unseres Tuns. Das motiviert, weiter zu machen. Uns ist natürlich klar, dass wir Burundi und die Welt nicht ändern. Das muss auf einer anderen Ebene stattfinden, in Politik und Wirtschaft. Aber die Entwicklung im Kleinen, die in diesem großen Rahmen stattfindet, ist es, was den Menschen Hoffnung gibt. Hoffnung ist Motivation. Und ohne die nimmt man sein Leben nicht in die Hand. Natürlich erfordert das viel Zeit, Konversation, Präsenz und Nerven. Aber es funktioniert! Das bedeutet jedoch auch, dass man sich persönlich zurücknehmen muss. Das private Leben ist um einiges eingeschränkter als beispielsweise in Karlsruhe, allein schon wegen der Sicherheit.
Nach Ihrer bisherigen Erfahrung: welche Voraussetzungen sind wichtig, damit Entwicklungshilfe funktioniert?
ZISER: Ich kann mir nicht anmaßen zu sagen, so und so hat es zu sein, damit es funktioniert. Wenn es so einfach wäre, sähe die Welt schon um einiges anders aus. Ich denke, zwei der wichtigen Punkte sind: lieber vor Ort Bedarfe erkennen und danach gerichtet Projekte entwickeln, anstatt mit einem ausgeklügelten Konzept – das auf dem Papier perfekt scheint – zu „intervenieren“ um dann zu merken, dass es so doch nicht geht. Und dann natürlich die Verbindung von Fördern und Fordern. Der Krieg in Burundi ist vorbei. Das bedeutet, auch die Zeit von kostenloser Verteilung von Nahrung und allen anderen Gütern. Manchmal sagen Leute, ich sei „hart“, aber ich finde es einfach nur konsequent. Das beginnt damit, Termine und Absprachen zu respektieren. Und das führt sich fort darin, zu verstehen, woher die – insbesondere unsere – Hilfe kommt. Nämlich hauptsächlich von Privatleuten, die spenden – und das nicht müssten! Und deshalb wollen wir diese Spenden ordentlich ein- und umgesetzt wissen. Wenn wir beispielsweise investieren, Lehrer fortzubilden, damit diese den Unterricht professioneller und effektiver gestalten können, erwarten wir, dass das neue Wissen angewandt wird. Natürlich sind wir uns bewusst, dass die Menschen häufig am Limit des Ertragbaren leben müssen. Es gibt kaum medizinische Versorgung, die Lebensmittelpreise und Mieten steigen ins Unermessliche. Armut ist überall sichtbar und herrscht flächendeckend. Aber um das zu ändern, können wir nur Starthilfe geben, beispielsweise mit der Aus- und Fortbildung von qualifizierten Leuten oder auf anderer Ebene mit Mikrokrediten. Ich habe vergangene Woche einen schönen Satz gelesen, der das gut beschreibt: „Wir stellen nur die Leiter, die aus der Armut führt. Hochklettern müssen sie die Leute selbst.“
2010 hat der Verein ein kleines Krankenhaus nördlich der Hauptstadt Bujumbura realisiert. Wie war die medizinische Versorgungssituation dort zuvor, wie hat sich die Situation für die Bevölkerung nun verbessert?
ZISER: Die meisten werdenden Mütter bringen ihre Kinder in den Hütten zur Welt. Ohne ärztliche Assistenz, unter hygienischen Umständen, wie wir sie uns gar nicht vorstellen können. Die nächste Klinik ist 15 Kilometer entfernt in der Hauptstadt, Ambulanzen gibt es dort keine. Kürzlich kam eine Frau, die ein seit Monaten totes Baby im Bauch mit sich trägt, ohne es zu wissen. Und genau hier kommen wir auf den Punkt: die Sicherstellung medizinischer Basisversorgung ist nicht alles. Es geht auch darum, den Menschen zu erklären: warum, wieso, weshalb. Das beginnt bei „was ist ein Thermometer“ bis hin zu „wie kann ich die Übertragung von HIV von Mutter zu Kind vermeiden“. Gebaut wurde die Medizinstation von burundikids Schweiz in Kooperation mit dem deutschen Verein. Wir arbeiten mit ausländischen und einheimischen Spezialisten zusammen. Beispielsweise kommen Krankenschwestern, Ärzte und auch Laborexperten und Augenoptiker zu uns, um einheimisches Personal fortzubilden und die Leute zu versorgen. Neben der Medizin geht es dabei um Familienplanung, Ernährung und Hygiene – die alle zusammenhängen. Und: wir sorgen für qualifizierte neue Leute. Denn in Kooperation mit unserer Schule nebenan und Partnern in Deutschland werden junge KrankenpflegerInnen und PTA (pharmazeutisch-technische Assistenten) ausgebildet. Letztere sind bislang einzigartig in Burundi!
Noch in diesem Jahr soll mit dem Bau einer Abteilung für Gynäkologie begonnen werden. Mit welchen Stellen arbeiten Sie zusammen, können auch Alumni Ihre Arbeit unterstützen?
ZISER: Die neue Gynäkologieabteilung bauen wir mit Hilfe des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Schon beim Konzeptentwurf standen uns Gynäkologen und Chirurgen in Deutschland zur Seite, die gemeinsam mit der Architektin und burundikids-Gründerin Martina Wziontek den Bauplan entwarfen. Gerade sind auch Gynäkologen vor Ort, um unsere einheimische Ärztin fortzubilden, ein Container aus Deutschland vom Partner Human Help Network e.V. mit medizinischem Gerät steht bereit. Kooperieren werden wir – wie bislang auch – auf jedem Fall auch mit dem burundischen Gesundheitsministerium, u.a. da ja Geburten in Burundi kostenlos sind. Es gibt Kontakt zu Programmen der Deutschen Botschaft zur Familienplanung, anderen medizinischen Einrichtungen und zu Experten aus dem Ausland. In der Schwebe steht noch eine Partnerschaft mit dem Städtischen Klinikum Karlsruhe. Wir haben bereits Klinikbetten von dort bekommen und zwei Krankenschwestern waren zur Mitarbeit vor Ort. Eine schriftliche Vereinbarung zur weiteren Kooperation ist in Arbeit. Was alle unsere Projekte betrifft: da wir in vielen unterschiedlichen Bereichen arbeiten, sind wir natürlich immer auf die jeweilige Expertise angewiesen. Wer also vor Ort mitarbeiten kann, ist herzlich willkommen. Spenden helfen uns natürlich, den grundlegenden Betrieb sicherzustellen, bis eine Autofinanzierung erreicht werden kann. Ob finanziell oder materiell.
Ursprünglich wollten Sie nur ein Jahr in Burundi bleiben, inzwischen sind Sie schon fünf Jahre in Ostafrika. Können Sie sich vorstellen, in nächster Zeit nach Europa zurückzukehren und dort einen „gewöhnlichen“ Bürojob anzutreten?
ZISER: *lach*. Eine sehr gute und häufig gestellte Frage. Ja, mittlerweile kann ich mir das wieder vorstellen. Als ich zum ersten Mal wieder nach Deutschland zurückkam, kam ich mir etwas entfremdet vor. Gerade noch in der tiefsten Provinz Muyinga, wo unterernährte Kleinkinder versorgt werden, von denen man beim nächsten Besuch wahrscheinlich nicht mehr alle sehen wird, zurück nach Karlsruhe, wo Jugendliche in der Disco Alkohol für 50 Euro an einem Abend in sich hineinschütten. Ich hatte Zeit benötigt, um alles zu sortieren, Dinge hinzunehmen, wie sie sind. Und Probleme in der einen wie in der anderen Welt als solche anzuerkennen – weil sie eben den jeweiligen Lebensbereich betreffen. Man darf burundische Probleme mit denen in Baden-Württemberg nicht vergleichen. Mittlerweile kann ich mir wieder sehr gut vorstellen, in europäischen Gefilden zu arbeiten. Die Bande nach Burundi werden jedoch nie abreißen. Und ob ein Job gewöhnlich ist oder nicht, kommt nicht nur, aber auch auf einen selbst an, oder?
Danke für das Gespräch.
Mehr Informationen: www.burundikids.org