Interview mit Alumnus Peter Sigmund
"Nicht besser, nicht schlechter – auf jeden Fall anders!"
Vor 53 Jahren begann Prof. Peter Sigmund an der Fridericiana sein Physikstudium. Heute lebt und arbeitet der Alumnus in Dänemark. Eléna Fichtner sprach mit ihm über das Studentendasein heute und vor einem halben Jahrhundert.
Sie haben in Karlsruhe zwei Jahre lang Physik studiert. Wieso fiel Ihre Wahl damals auf Karlsruhe?
Ich bin in Karlsruhe geboren, aufgewachsen und in Ettlingen zur Schule gegangen. Es war naheliegend, die Grundausbildung an der lokalen Technischen Hochschule durchzuführen. Als Physiker braucht man eine gute mathematische Grundlage, und die Mathematik in Karlsruhe hatte einen guten Ruf. Die Vorlesungen von Karl Strubecker und Hans Wittich waren hervorragend. Meine Niederschriften aus dieser Zeit dienten jahrelang als mein persönliches Handbuch der Mathematik. Im vierten Studiensemester, noch vor meiner Abreise aus Karlsruhe, bekam ich Gelegenheit, als „Hilfsbremser“ der Strubeckerschen Vorlesung Übungen in Mathematik für Mathematiker und Physiker zu halten. Das war meine erste Erfahrung in der Universitätspädagogik, die mir später sehr von Nutzen war.
Warum haben Sie dann die Universität gewechselt?
Ein gutes Elternhaus ist ein Geschenk fürs Leben, aber als Zwanzigjähriger wollte ich die nahe Umwelt verlassen und zog nach Göttingen, wo die Physik einen guten Ruf hatte. Das erwies sich im nachhinein als eine gute Entscheidung: In Karlsruhe gab es damals zwei Ordinarien für Physik, einen Theoretiker und einen Experimentator, und als Christian Gerthsen starb, verblieb das Physikalische Institut jahrelang ohne Chef. Das muss das Diplomieren und Promovieren für meine Jahrgangsgenossen erschwert haben.
Gibt es ein Ereignis aus Ihrer Studienzeit, an das Sie sich besonders gerne erinnern?
Das Studium Generale war in Karlsruhe etwas ganz besonderes. In Göttingen und Aachen, wo ich je 2-3 Jahre studierte, gab es so etwas nicht. Ich erinnere mich z.B. an einen Dies Academicus - ungefähr im Jahr 1955 - mit dem Thema „Computer“. Da saßen 1500 Leute im Studentenhaus und hörten mit Staunen die Berichte der wenigen deutschen Experten auf einem Gebiet, dessen weitere Entwicklung unser Leben entscheidend beeinflusst hat. Generell bemerkenswert war vor allem die Qualität der Vorlesungen. Die äußeren Umstände, Hörsäle, experimentelle Ausrüstung usw. waren in keiner Weise vergleichbar mit dem, was man 5-10 Jahre später als selbstverständlich ansah, aber das Engagement der Vorlesenden kompensierte dafür vollauf.
Seit 1974 sind Sie dänischer Staatsbürger. Wie kam es dazu?
Meine Frau ist Dänin und meine Kinder sind in Dänemark aufgewachsen. Ich hatte eine permaProf. Dr. Peter Sigmund nente Universitätsstelle und sah voraus, dass ich in Dänemark bleiben werde. Im Jahre 1974 waren EU-Bürger noch nicht gleichgestellt.
Sie arbeiten als Gastdozent an der Süddänischen Universität. Was lehren Sie dort?
Seit 1978 arbeite ich als Professor der Physik an der Süddänischen Universität in Odense. Letztes Jahr wurde ich emeritiert, aber als aktiver Forscher komme ich weiter ins Institut, bin die meisten meiner Pflichten losgeworden und habe all die Rechte beibehalten, die in meiner jetzigen Situation von Bedeutung sind. Aus formellen, u.a. versicherungstechnischen Gründen legen die Universitätsbehörden darauf wert, dass ein formelles Anstellungsverhältnis besteht. Deshalb bin ich „externer Lektor“, was dem deutschen Honorarprofessor entspricht und beziehe neben meiner Pension ein nominelles Gehalt. Das bedeutet, dass ich auch gelegentlich eine Kursvorlesung halte. So lange die Studenten mich noch nicht zum alten Eisen zählen, ist das in jedermanns Interesse.
Wo sehen Sie denn die Unterschiede in den Studiensystemen von Deutschland und Dänemark?
In beiden Ländern haben sich die Systeme kräftig geändert in dem halben Jahrhundert, das seit meiner Studienzeit vergangen ist. In beiden Ländern ist das Studium vom Übergang von der Eliteuniversität zur Massenuniversität geprägt, ungeachtet der kürzlichen Promotion der Fridericiana zur Eliteuniversität (Herzlichen Glückwunsch!). Meine Kenntnis gegenwärtiger deutscher Studenten rührt hauptsächlich von Doktoranden und postdocs her, die für kürzere oder längere Zeit hier arbeiten. Das sind durchweg erstklassige Leute mit soliden Kenntnissen. Sicher nicht der Mittelwert. In Dänemark sind wir früher zum angelsächsischen Ausbildungsystem übergegangen. Das steht in Deutschland wohl gerade an. Im Prinzip sollte der Bachelor einen Ausgang ins Berufsleben ermöglichen. So weit sind wir jedenfalls in der Physik nach fast 20 Jahren noch nicht gekommen: Nach wie vor ist der Bachelor ein Vordiplom und kaum jemand steigt da aus.
Seit vielen Jahren begleiten Sie Studierende auf ihrem Ausbildungsweg. Konnten Sie einen Mentalitätswechsel beobachten?
In Dänemark ist der Unterschied zwischen den Studierenden, die ich in den 70er und 80er Jahren unterrichtete und denen der Gegenwart enorm. Damals waren die Voraussetzungen vom Gymnasium her gut bis sehr gut, die Motivation zum Studium dagegen relativ gering, und als Lehrer war man konstanter Kritik ausgesetzt, sofern man nicht in das politische Konzept passte. Seit den 90er Jahren finden wir hochmotivierte Studenten – sie sind konstruktiv, kommunikativ, jedoch, natürlich mit Ausnahmen, mit erheblichen Mängeln in den gymnasialen Voraussetzungen. Es ist schwer sich von der Gewohnheit zu befreien, die Voraussetzungen eines Studenten der Gegenwart mit meinen eigenen vor fünfzig Jahren zu vergleichen. Nichtsdestoweniger ist das eine Notwendigkeit. Die berufliche Situation, mit der sich diese Generation zurechtzufinden hat, ist nicht unbedingt schwerer als die unsrige, aber sicher nicht leichter, und auf jeden Fall eine andere.