Interview mit Alumnus Thomas Winkler
Der 1975 im sächsischen Aue geborene Thomas Winkler hat eine Leidenschaft zum Beruf gemacht: Im Wein-Team des 1994 in Seattle (Washington, USA) gegründeten Online-Versandhauses Amazon.com testet er heute Weine, die bald online bestellt werden können.
Nach seinem Diplom an der Universität Karlsruhe im Jahr 2000 stieg er als Program Manager bei Bertelsmann Arvat in Versmold und Los Angeles ein, entschied sich dann für ein MBA-Studium an der University of California in Berkeley. Seit 2005 arbeitet der Karlsruher Diplomwirtschaftsingenieur für Amazon.com, zunächst in Seattle, später in Santa Cruzin den Bereichen Operations, Retail und Publishing.
Der leidenschaftliche Fußballer und Trail Runner lebt in Seattle und nahm kürzlich an der Gründung des zweiten AlumniKaTH-Regionalclubs in den USA im Silicon Valley teil.
Im Gespräch mit Elke Schmidt berichtet er, wie er zum Weintester wurde.
Herr Winkler, wie sieht Ihr Arbeitsalltag als SrAccout Manager Wine beim Internet-Versandhaus Amazon aus?
Seit 2008 bereiten wir unsere US-Weinwebseite vor. Seitdem verbringe ich 1/3 meiner Zeit unterwegs, um Weingüter zu besuchen, Winzer zutreffen und diese von unserer Weinplattform zu überzeugen. 1/3 der Zeit verbringe ich damit, das eigentliche Produkt (die Weine) für unsere Webseite aufzubereiten und darzustellen inklusive Datenstruktur, Webseitenfunktionalität und Merchandising. Der Rest meiner Zeit ist für die Verbesserung unserer Prozesse und Systeme eingeplant, um Wachstum bei unserem Produktsortiment und mit Weingütern zu ermöglichen.
Letztendlich arbeite ich also in einer Art Einkaufsposition.
Nur eben etwas unkonventionell, weil wir eine sehr große Auswahl an Weinen aufbauen und weil unsere Kunden die Produkte in erster Linie über Softwareempfehlungen und Internetmerchandising finden. Wir haben also bzgl. Beschreibung und Vermarktung der Produkte andere Ansprüche an die Weingüter.
Wie kam es zu dieser hauptberuflichen Beschäftigung mit Wein? Wie haben Sie als Wirtschaftsingenieur diese Leidenschaft entwickelt und zum Beruf gemacht?
Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht, mein Wirtschaftsingenieursstudium in Karlsruhe ist eigentlich die perfekte Ausbildung für eine Firma wie Amazon. Bei uns kommen Innovation, Software, Kundenorientierung und quantitative Analytik auf einmalige Weise zusammen – und das ist auch in unserem Wein-Bereich nicht anders. Herausfordernd sind beispielsweise die Produktdaten: auf unserer Webseite wird jeder einzelne Wein mit bis zu 65 verschiedenen Merkmalen beschrieben. Diese Datenmenge in kurzer Zeit für Tausende Weine von Weingütern aus über Hundert Weinbaugebieten zusammenzuführen und fehlerfrei für Kunden darzustellen, ist schon eine Herausforderung.
Meine Leidenschaft für Wein wurde von meinem Vater auf unzähligen Kindheitsreisen nach Italien geweckt. Für meine heutige Arbeit sind allerdings solche Dinge wie Prozessinnovation, Systemverständnis und Einkaufsstrategien noch wichtiger.
Nach welchen Kriterien wählen Sie einen getesteten Wein für das Amazon-Sortiment aus?
Wir haben über die Jahre immer wieder gesehen, dass große Auswahl zu höherer Kundenzufriedenheit und -loyalität führt. Unsere Kunden können ihre Lieblingsweine selbst besser auswählen, als wir das für sie tun könnten. Unsere Aufgabe ist es also, eine große Auswahl an Weinen anzubieten und dem Kunden durch Webseitenfeatures das Suchen und Shoppen zu erleichtern. Beim Buch-Bereich bei Amazon.de treffen wir ja auch keine Vorauswahl, sondern lassen die Kunden selbst suchen und entscheiden. Z.B. sind Customer Reviews und automatische Personalisierung durch Collaborative Filtering zwei Möglichkeiten, die unsere Kunden sehr schätzen, um ihre Lieblingsdinge auf unseren Webseiten zu finden.
Das hat auch einen demokratisierenden Nebeneffekt: Ein kleines Hobbyweingut in Santa Barbara hat bei uns genauso viel Kundenzugang und Marketingchancen wie ein riesiges, etabliertes Weinunternehmen aus Napa Valley. Wir finden das toll und unsere Kunden schätzen das sehr.
Worin unterscheiden sich deutsche und US-amerikanische Weine?
Ich betreue die Weinregion Central Coast in Kalifornien und kenne mich somit in erster Linie mit kalifornischen Weinen aus.
Zuerst eine Gemeinsamkeit: In Deutschland und in den USA werden Weine generell nach Rebsorte beschriftet und vermarktet (im Gegensatz zu Frankreich, Italien oder Spanien). Die Unterschiede liegen zunächst im Klima, das in Kalifornien so konstant ist, dass es kaum Jahrgangsschwankungen gibt. Und natürlich bekommt Wein in Kalifornien generell mehr Sonne und mehr Ozean einflüsse.
Deutsche Weißweine sind weltweit nach wie vor das Maß aller Dinge – mit mehr Mineralität, Finesse und Säuregehalt im Vergleich zu kalifornischen Weinen. Dafür ist der kalifornische Rotwein (neben Bordeaux und Burgund) natürlich der Platzhirsch schlechthin weltweit, aber leider oftmals nur für einen hohen Preis zu kaufen. Allerdings haben deutsche Rotweine in letzter Zeit riesige Fortschritte gemacht und im Ausland das einseitige Image vom „Rieslingland Deutschland“ erweitert. Z.B. haben Spätburgunder von der Ahr mittlerweile Kultcharakter bei US-Weinexperten und auch Dornfelder aus Baden und der Pfalz bekommen hier erstmalig Aufmerksamkeit. Deswegen denke ich auch, dass deutsche Winzer bei Amazon in den USA erfolgreich sein werden.
Vor ein paar Monaten waren wir übrigens auf der Messe Pro Wein in Düsseldorf und haben dort von deutschen Winzern auch überraschend viel Interesse am US-Markt wahrgenommen.
Gibt es Unterschiede im Weingeschmack der Deutschen und Amerikaner?
Die Zeiten industrieller Süßweine sind hier für immer vorbei. Im Gegenteil: Amerikaner sind unglaublich weltoffene, neugierige und belesene Weintrinker. Die Weingeschmäcker hier sind so vielfältig wie die – von Einwanderern bestimmte – Küche. Ich denke deutsche Weingenießer sind etwas traditionsbewusster und bevorzugen Mineralität, Leichtigkeit und Säuregehalt, besonders bei Weißweinen – während amerikanische Weine durchaus oft höhere Reife, Fruchtgehalt und Geschmackstiefe haben.
In Deutschland wird Wein häufiger getrunken als hier in den USA. Amerikaner geben dafür aber pro Flasche mehr Geld aus. Übrigens hat das Wachstum hier dazu geführt, dass die USA im Jahr 2010 erstmalig der größte Weinabsatzmarkt der Welt sein werden.
Was trinken Sie zu Hause? Ziehen Sie aufgrund Ihres Berufes andere Getränke vor?
Ganz im Gegenteil! Ich trinke sehr gern Wein privat.
Bei mir im Weinregal zu Hause finden Sie in erster Linie Spätburgunder aus Santa Barbara, Syrahs aus Paso Robles und natürlich Rieslinge von Mosel und Rheingau. Aber bin ich auch sehr happy, wenn ich hier in einer Kneipe mal ein Radeberger vom Fass finde.
Woran erkenne ich als Laie einen guten Wein?
Es gibt da ein paar Faustregeln, die durchaus helfen können: Man sollte nach kleineren Produktionsmengen suchen – wenn von einem einzigen Wein z.B. über 500.000 Flaschen abgefüllt wurden, dann hat der manchmal auch etwas weniger Eigencharakter. Zudem sollte man nach kleineren und unabhängigen Weingütern schauen – da ist nicht selten mehr Liebe und Leidenschaft dabei.
Die regionalen, gesetzlichen Qualitätsbeschriftungen (in Frankreich, Deutschland, Italien usw.) sind teilweise hilfreich, manchmal aber auch etwas unflexibel und veraltet und damit leider nicht immer ein guter Ratgeber. Man sollte darüber hinaus nach Weingütern und Weinregionen schauen, die sich spezialisieren: niemand kann 10 oder 20 verschiedene Rebsorten verstehen und auch noch in höchster Qualität anbauen. Und natürlich können Sie die Kundenmeinungen auf Amazon-Wine.com lesen. Noch sind wir im Betatestprogramm, aber bald wird die Webseite öffentlichzugänglich sein.
Aber letztendlich lautet das Motto: einfach probieren!
Ein guter Wein ist einer, der Ihnen persönlich für den Preis sehr gut schmeckt - es gibt leider keine bessere Antwort. In den USA z.B. werden eine Viertel Million verschiedene Weine angeboten– und in Europa noch viel mehr. Und jeder Weingenießer hat andere, individuelle Präferenzen.
Weinshoppen ist also eigentlich eher ein permanentes, persönliches Erkunden.
Vielen Dank für das Gespräch!