Im Land des Bären
Aufklärung mit Unterstützung des Häuptlings
Alumnus will AIDS in die Wüste schicken
Über 8.000 km liegen zwischen Karlsruhe und Lobatse in Botswana, der neuen Heimat von Dr. Karl Stahl, der in den 70er Jahren an der Fakultät für Chemie studierte und promovierte. 1994 übernahm er für seinen damaligen Arbeitgeber Boehringer Mannheim (seit 1998 Roche Diagnostics) die Leitung des Firmensitzes in Südafrika. Heute lebt er mit seiner afrikanischen Frau in Botswana und engagiert sich für die afrikanische Bevölkerung im Kampf gegen AIDS. Karl Stahl ist fasziniert von der afrikanischen Urbevölkerung – den San Leuten – in Botswana. Für AlumniKaTH gewährt Dr. Stahl einen Einblick in die Diskrepanz zwischen moderner medizinischer Versorgung und Aberglaube.
Warum setzen Sie sich für Afrika und seine Menschen ein?
In meiner Funktion als internationaler Manager bei Boehringer Mannheim hatte ich 1994 die Leitung „Therapeutika“ in unserer Firma in Südafrika übernommen. Durch meine Arbeit in der Pharmabranche und somit dem direkten Kontakt mit den Gesundheitsproblemen in Afrika, erhielt ich Einblick in die großen sozialen Probleme Südafrikas. Im Zeichen des Aufbruchs mit Nelson Mandela hatte auch ich den Wunsch am Aufbau Südafrikas mitzuarbeiten. Als ehrenamtlicher Ranger im Krüger National Park bekam ich schließlich auch die Gelegenheit, mit afrikanischen Rangern zusammenzuarbeiten. Diese Leute hatten oft keine weiterführende Schule besucht, dafür aber – was mich stark beeindruckte – Kenntnisse zum Leben und Überleben in der Wildnis. Schließlich versuchte ich, mich mit meinem spezifischen Wissen zu revanchieren.
Im September bot sich Ihnen und Ihrer Frau die besondere Gelegenheit, an der Krönung des Häuptlings des Bakgatla Stammes teilzunehmen. Welche Aufgaben erfüllt dieser sogenannte Paramount Chief? Hat er politische Entscheidungsgewalt?
Ein Paramount Chief ist das traditionelle Oberhaupt eines Stammes. Gleichzusetzten ist dieser in Deutschland z.B. mit dem König von Bayern oder dem Kurfürst von Baden, die im Oberhaus einen Sitz einnehmen (in England wäre es das House of Lords). Der Sitz ist vererbbar. Botswana ist eine parlamentarische Demokratie, der ein gewählter Präsident vorsteht. Er wird vom Parlament gewählt, das wiederum demokratisch vom Volk gewählt wird. Dieses Parlament würde in England etwa dem House of Commons entsprechen. Ein Paramount Chief und seine Unter-Chiefs pflegen traditionelle afrikanische Bräuche bis hin zur Gerichtsbarkeit für kleinere Vergehen oder Familienstreitigkeiten. Generell kann in Botswana gewählt werden, ob ein Streitfall vor einem traditionellen Gericht „Khotla“ oder einem Amtsgericht in erster Instanz vorgelegt wird. Urteile des Khotla sind offiziell anerkannt, können aber über ein ordentliches Gericht in Berufung gehen. Meistens werden die Urteile von den Angeklagten aber akzeptiert, da alleine die öffentliche Behandlung des Falles vor allen Stammesmitgliedern schon einen großen Gesichtsverlust des Beschuldigten nach sich zieht, wenn er/sie keine Reue zeigt. Meist geht es hier um Erbschaftsstreitigkeiten, Viehdiebstahl, aber auch sexuelle Belästigung. Die Urteile reichen von Geld- bis zu Gefängnisstrafen, in einigen Fällen können vier Stockhiebe statt Gefängnis gewählt werden. Paramount Chiefs beleben die afrikanische Tradition des Stammes, so auch wenn Knaben in den Kreis der Männer und Mädchen in den Kreis der Frauen aufgenommen werden sollen. Sie lernen, wie man sich als Mann bzw. Frau verhalten muss. Bei den Knaben kommt noch die Beschneidung hinzu, die in Afrika auch als Unterstützung im Kampf gegen AIDS diskutiert wird.
Wie werden Sie den Chief beim Kampf gegen Aids unterstützen?
Ich habe 22 Jahre in der internationalen Pharmabranche gearbeitet, bei Boehringer Mannheim und auch bei Roche Schweiz. Weiterhin habe ich mit einem Partner in Südafrika seit mehr als 12 Jahren eine eigene Firma für klinische Studien. Mithilfe dieser Kenntnisse und Kontakte speziell auf dem Gebiet der HIV/AIDS Diagnostika möchte ich AIDS-Tests fördern und generell AIDS-Aufklärung unterstützen. Hierzu ist ein Paramount Chief mit seiner Autorität zur Ansprache der gefährdeten Gruppen sehr wichtig. Hierbei werde ich von meiner Frau unterstützt, bzw. ich unterstütze meine Frau, die als Stammesangehörige der Bakgatla auch auf diesem Gebiet tätig ist. Meine Frau ist oberste Richterin am High Court in Botswana und sitzt im Board der Harvard Medical School Boston, die in Botswana große AIDS-Studien durchführt. Sie ist eine Autorität und gleichzeitig ein Idol und Vorbild vieler junger Menschen in Botswana. Wir hoffen durch unseren persönlichen Einsatz die Begeisterung junger Menschen für verantwortungsvolle Sexualpraktiken zu unterstützen.
Sie unterstützen den Paramount Chief auch beim Aus- und Aufbau traditioneller Stammeseinrichtungen. Um welche Einrichtungen handelt es sich und welche Funktion erfüllen diese?
In der heutigen Zeit sind durch Massenkonsum, Alkoholmissbrauch und sexuelle Belästigung junger Mädchen und Frauen viele der traditionellen Werte verlorengegangen. In der afrikanischen Tradition sind diese Verhaltensweisen nicht tolerierbar. In der Stärkung dieser Traditionen sehen wir eine Möglichkeit, gegen die genannten Übergriffe zu wirken. Meine Frau in ihrer Vorbildfunktion als internationale Frauenrechtlerin, die auch einige Frauenhäuser in Botswana gegründet hat, ist in der Stärkung des Selbstbewusstseins der Mädchen sehr erfolgreich. Diese melden Übergriffe jetzt häufiger der Polizei. Ein Problem stellen auch die traditionellen Wunderheiler oder „witch doctors“ dar. Bis zum heutigen Tage werden in Afrika „Muti“ (afrikanische Arzeimittel, die aus Tier- aber auch aus menschlichen Körperteilen / Organen bestehen) verkauft und genutzt. In ländlichen Gebieten, aber auch in den Städten geht man zum witch doctor, da ein Arzt oder eine Krankenstation nicht immer in der Nähe sind oder man den beschwörenden Gebärden des Wunderheilers mehr vertraut. Um an diese Muti zu gelangen, werden auch Morde verübt, hauptsächlich an Kindern und Frauen. Obwohl diese Praktiken in Botswana unter Strafe stehen, geraten auch Leute der Mittel-und Oberschicht in den Bann dieser Muti. Erst vor drei Wochen wurde ein Kind wegen „Muti“ getötet. Die Polizei ist dabei, den Fall zu klären. Viele solcher Vergehen werden noch totgeschwiegen und wir wollen dazu beitragen, dass durch Aufklärung junger Menschen solche Praktiken verschwinden. Traditionelle Zusammenkünfte der Dorfbewohner in der Khotla (unter dem Lindenbaum) unter Leitung der Chiefs können dabei helfen, die Botschaft zu übermitteln.
Wie sehen Ihre Pläne für die nächsten Monate aus?
Schon im letzten Jahr habe ich Karlsruher Studierende aufgerufen, sich bei mir um Praktika zu bewerben. Leider verzögern sich diese noch ein wenig. Wahrscheinlich kann erst Mitte nächsten Jahres über Projekte geredet werden, da ich von Januar bis Mai 2009 mit meiner Frau an der Columbia Universität in New York sein werde. Ich als Kofferträger, meine Frau als Gastprofessorin an der Juristischen Fakultät.