Interview mit dem Alumnus Richard Leute
Richard Leute blickt auf ein erfolgreiches Berufsleben zurück. Von 1957 bis 1959 studierte er in Karlsruhe Chemie. Heute ist der Pilot einer Bonanza F33A stets unterwegs zwischen Kalifornien und dem Bodensee, hat 2 Kinder und 4 Enkelkinder, viele Ideen im Kopf und ist stets bereit ein neues Projekt zu starten. Im Januar 2009 nahm er an der Clubgründung im Silicon Valley teil und versprach dieses Interview.
Das Gespräch wollte der heute 71-Jährige eigentlich von seinem Boot aus führen, doch letztendlich setzte sich Richard Leute ins heimische Wohnzimmer, um per Skype über sein Leben zu berichten. Das Interview führte Claudia Reichert.
Herr Leute, Sie waren nur kurz in Karlsruhe, wie haben Sie diese Zeit empfunden?
1957 habe ich in Karlsruhe angefangen Chemie zu studieren und war dort bis zum Vordiplom.
Dies war eine schwierige Zeit für mich, weil ich noch nie von zu Hause weg und dort plötzlich auf mich selbst angewiesen war. Zur Freizeitgestaltung blieb nicht viel Zeit, denn wir Chemiker mussten viel studieren und es herrschte große Konkurrenz. Wenn noch Freizeit übrig blieb, bin ich gern und oft an den Rhein gegangen. Ich habe an Karlsruhe sehr gute Erinnerungen, ich spreche hier von einer einzigartigen und hervorragenden Ausbildung und sehr guten Lehrern (Scholder, Criegee). Unter den Kommilitonen herrschte immer ein guter Zusammenhalt - vor 2 Jahren feierten wir in Karlsruhe das 50-jährige Jubiläum des Studienbeginns. Die Kommilitonen des Studienjahrs (~20) stehen immer noch miteinander in Verbindung.
Sie haben in München weiter studiert, wie hat es Sie später in die USA verschlagen?
Für München habe ich mich entschieden, weil dort akademische Lehrer (R. Huisgen, E.O. Fischer- Nobelpreisträger 1973, F. Lynen – Nobelpreisträger 1964) waren, die an der Vorfront der Wissenschaft arbeiteten und von denen ich mir versprach, viel lernen zu können. Nach dem 8. Semester habe ich das Diplom gemacht und bin an das Max-Planck-Institut für Biochemie gegangen. In 4 Jahren fertigte ich dort die Diplom- und Doktorarbeit an. Zwei Monate nach der Promotion ging ich an die UCLA (University of California, Los Angeles) in die USA und war dort ein Jahr lang bei Prof. Saul Winstein, der auf seinem Gebiet der organisch physikalischen Chemie eine Koryphäe war. L.A. hat mir sehr gut gefallen, ich war jung und unabhängig und konnte neben der Arbeit viel von der Umgebung erleben.
Ihr Interesse an der Chemie stieg also. Erzählen Sie doch, wie Sie an Ihre erste Firma kamen.
Zunächst interessierte mich nur die organische Chemie in Hinblick auf Biochemie, dann wollte ich theoretische Chemie machen und ging für ein Jahr als Postdoc nach Paris zu Prof. Raymond Daudel. Dort habe ich auch gelernt, wie man Computer programmiert. Schließlich wollte ich in die Industrie, um dort mittels theoretischer Chemie neue, pharmakologisch wirksame Verbindungen zu entdecken. Roche in Basel war daran interessiert und bot mir eine Stelle an, die ich jedoch kurzfristig für die Möglichkeit, an der Universität Lausanne über Molecular Orbital Theorie zu lesen, absagte.
Während meines Aufenthalts an der UCLA hatte ich meine Frau, eine Amerikanerin und Germanistin, kennengelernt. Dieser für ein Jahr geplante Aufenthalt in Lausanne bildete eine gute Brücke, um von dort aus direkt wieder in die USA zu gehen.
Sehr schnell haben sie eine Firma geleitet, wie kam es dazu?
Bis zur Leitung einer Firma hat es noch ein paar Jahre gedauert. 1968 bin ich in die USA zurückgegangen, habe bei Synvar angefangen und chemisch sehr interessante Dinge gemacht. Nach 9 Monaten meiner Zugehörigkeit sollten neue, gewinnträchtige Produkte entwickelt werden. Mein Projekt war ein Schnellanalysensystem zur Bestimmung von Drogen mittels Antikörpern und Elektronenspinresonanz. In 13 Monaten war mein Produkt erfunden und zur Marktreife gebracht. Es wurde quasi über Nacht ein Millionenprodukt, als der damalige Präsident der USA, Richard Nixon, entschied, die amerikanischen Streitkräfte aus Vietnam abzuziehen.
Manche der Soldaten waren in Vietnam drogensüchtig geworden. Heroin war billig und wurde hauptsächlich geraucht. Die Amerikaner wollten keine drogensüchtigen Soldaten im Land haben, deshalb mussten die Drogenbenutzer durch Urinanalysen identifiziert werden. Pro Tag sollte eine große Zahl von Proben untersucht werden und nur unser System konnte einen solchen Durchsatz schaffen. Mit 50 Mikroliter (etwa 1,5 Tropfen) konnte mit dem neuen Produkt innerhalb von 20 Sekunden ermittelt werden, ob der Drogenbefund positiv oder negativ war. Wir hatten also das richtige Produkt genau zu dem Zeitpunkt an den Markt. Perfecttiming – durch Zufall.
Klar war aber auch, dass das Geschäft mit dem Militär abflauen würde, sobald die Truppen wieder zurück waren. Deshalb wurde in meiner Arbeitsgruppe eine zweite Technologie erfunden, die auch in einem klinisch medizinischen Labor durchgeführt werden konnte. Sie existiert noch heute und bringt über hundert Millionen Dollar Umsatz. Nach der Vietnamepisode habe ich noch 3 Jahre im Labor gearbeitet. Mein Bestreben war aber, in die Geschäftsleitung umzusteigen. Dafür habe ich schon während meiner Studienzeit in München Marketing und Patentrecht studiert. In den USA kam dann noch Business Law, Finanzen/Buchhaltung, Verhandlungsstrategie, Mergers und Acquisitions und mehr Marketing dazu.
Der Umstieg in die Geschäftsleitung bot sich durch den Aufbau des internationalen Vertriebs, der bislang nicht existierte. Somit tauschte ich nach 6 Jahren in den USA den Laborkittel gegenden Nadelstreifenanzug und war plötzlich weltweit unterwegs, um die neue Technologie vorzustellen.
Zehn Jahre lang hatte unsere Technologie ein Weltmonopol für die Messung von Drogen und Blutspiegelbestimmungen gewisser Medikamente.
Wir bauten Zweigfirmen in den industrialisierten Ländern auf. Gemeinschaftsfirmen mit lokalen Partnern enstanden in Ländern, in denen es schwierig war, sich als amerikanische Firma zu etablieren (Deutschland, Frankreich und Japan).
Nach 16 Jahren bei Syva erhielt ich ein Angebot von der Firma Cooper, die sich mit dem Kauf und Verkauf von medizinischen Firmen befasste. Ich wurde eingestellt, um in einer Tochterfirma das internationale medizinische Geschäft aufzubauen. Am Tag des Erwerbs wurde ich zum stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden ernannt mit dem Auftrag, die neue Firma umzustrukturieren.
Nach zwei Jahren verkauften wir die Firma an Bayer und konnten so unseren Einsatz vervielfachen.
Und dann haben Sie die erste eigene Firma aufgebaut?
Ja, mit einem ehemaligen Kollegen wollten wir ein Schnellanalyse-Gerät für medizinische Labors herstellen. Mit einem Tropfen Blut wollten wir in 5 Minuten 13 Parameter bestimmen. Nach knapp eineinhalb Jahren Arbeit hatten wir etwa 30 Mio. Dollar Arbeitskapital. Die Kollegen wollten das Geld aber anders ausgeben als ich und so trennten wir uns. Heute setzt die Firma über 100 Millionen Dollar um.
Danach suchte ich zusammen mit einem Erfinder nach einer Finanzierung für eine Firma, die sich mit Zelltrennung befassen sollte. Als sich eine amerikanische Biotechnologiefirma dafür interessierte, haben wir innerhalb von Tagen die Firma gegründet und Mitarbeiter eingestellt, die wir schon zuvor identifiziert hatten. Das ursprüngliche Ziel war die Abtrennung von zirkulierenden erythropoietischen Stammzellen vor dem Beginn von Chemotherapie. Bei der Chemotherapie werden die Stammzellen zusammen mit den Krebszellen zerstört. Nach der Behandlung werden die abgetrennten Stammzellen rückinfusioniert, um die Blutzellenproduktion zu re-etablieren.
In drei Jahren Entwicklungsarbeit war das Produkt zulassungsreif und konnte in Europa auf den Markt gebracht werden. Die Firma zog dann nach Deutschland um, während ich in Kalifornien blieb.
Seitdem bin ich frei von irgendwelchen Obligationen. Im Verlauf der Zeit habe ich meine Anteile an der Firma verkauft.
Welche Freiheiten nehmen Sie sich heute und worauf sind Sie stolz?
Zurzeit pendle ich zwischen San Francisco und dem Bodensee. Im Sommer pendle ich fast monatlich hin und her. Im Winter habe ich meinen Hauptsitz in Kalifornien, wobei es hier – wie so viele nicht vermuten würden – unangenehm kalt sein kann. Deswegen suche ich während dieser Zeit Unterbrechungen in wärmeren Gegenden, in dem ich mich zeitweilig in Mexiko (Zihuatanejo), Florida (Sanibel Island) und in der Karibik (Tortola) aufhalte. Vielleicht werde ich in der Zukunft während dieser Zeit auch ein paar Wochen in Australien verbringen.
Stolz bin ich auf all die Firmen, an denen ich leitend mitgewirkt habe. Alle sind kommerzielle Erfolge geworden, die auf neuen Technologien beruhen, gleichzeitig tausende von Arbeitsplätzen geschaffen haben und auch noch nach bis zu 40 Jahren weiterhin erfolgreich sind. Es ist erstaunlich, dass diese Technologien bis heute noch nicht übertrumpft worden sind.
Ebenso bin ich sehr stolz auf meine beiden Kinder.
Meine Tochter hat wie Hillary Clinton am Elite-College Wellesley studiert und lizensiert heute weltweit die biotechnologischen Erfindungen der University of Stanford. Mein Sohn ist Arzt und leitet eine Klinik in San Diego. Leider hat meine Frau aufgrund ihres frühen Todes diese Erfolge nicht mehr miterleben können.
Zum Schluss unsere übliche Fensterfrage: Suchen Sie sich Ihren Lieblingswohnsitz aus und sagen Sie uns, was Sie sehen, wenn Sie aus dem Fenster schauen.
Ich habe ein zweites Domizil in Sausalito mit fantastischem Blick über die gesamte San Francisco Bay mit all den Segelbooten, Fähren, Frachtschiffen, Marineeinheiten, dem Umschlag der Gezeiten und dem Windspiel auf dem Wasser. Dies ist mein Lieblingsfenster.
Ganz zum Abschluss möchte ich noch auf den Arbeitsaufwand eingehen, den mir dieses Leben abverlangt hat. Nichts war einfach und alles hat viel Mühe, Ausdauer und Zeit gekostet. Um einen Eindruck zu vermitteln: 12 Stunden Arbeit am Tag waren die Norm - selbst während des Studiums.
Im Verlauf meiner beruflichen Tätigkeit habe ich über 350 Mal den Atlantik oder den Pazifik im Flugzeug überquert, d.h. ein ganzes Lebensjahr habe ich in Flugzeugen zugebracht. Hat es sich gelohnt?
Sicher und ich würde es heute gleich wieder tun.
Vielen Dank für das Gespräch!