Design im Einklang mit der Natur

Liu Jingtai

"Alumna Liu Jingtai entwirft Architektur nach den Regeln des Feng Shui"

Liu Jingtai schloss 1987 ihr Studium der Soziologie an der Universität von Tian Jin, China, ab und wendete sich anschließend einem völlig neuen Gebiet zu: in Karlsruhe begann sie Architektur zu studieren.

Heute leitet sie zwei Architekturbüros in San Francisco und Tian Jin in China. Sie setzt sich für eine stärkere Berücksichtigung von Feng Shui auch in der westlichen Welt ein.

Feng Shui? Bis vor einigen Jahren wusste noch kaum ein Europäer etwas mit diesem Begriff anzufangen. Heute taucht der Begriff in so manchem Einrichtungsratgeber auf, doch als architektonische Vorgehensweise ist die Designmethode noch nicht vollständig anerkannt.

Frau Liu, Sie haben in Karlsruhe Architektur studiert und leiten heute ein Architekturbüro in San Francisco, das nach den Prinzipien des Feng Shui arbeitet. Feng Shui ist im Sprachgebrauch ein Modewort geworden. Was bedeutet es für Sie und Ihre Arbeit?
Feng Shui bedeutet übersetzt „Wind und Wasser“.

Wind und Wasser sind reine Natursubstanzen. Unser Körper besteht zu 80% aus Wasser und wir atmen Luft bzw. Sauerstoff. Die Qualität dieser Naturstoffe ist mit unserem Körper bzw. unserer Gesundheit eng verbunden. Diese Naturstoffe haben in jedem Moment eine Wirkung auf die Menschen.

Eine architektonische oder ökologische Planung kann die Qualität dieser Naturstoffe erzeugen, verändern, oder zerstören.

Mein Büro ist ein Beratungsbüro mit Schwerpunkten auf Entwurf und Planung. In unserer Arbeit kämpfen wir für die Integration dieser Design-Methode. Weil Feng Shui sich so exotisch und unverständlich anhört, habe ich auch mit Wissenschaftlern Probleme, das Thema überhaupt anzusprechen. Deshalb ist es eine sehr große Herausforderung, dieses Wissen in die Planung einzubringen und die Menschen für die Realität von “Wind und Wasser“ zu sensibilisieren.

Ökologische Planung ist schon sehr weit entwickelt. Aber es fehlt noch eine systematische Vorgehensweise für Planungen nach diesem Prinzip. Ich hoffe, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft auf die Situation schnell reagieren kann und die Forschungen auch finanziell unterstützt.

Welche Rolle spielt Feng Shui in der asiatischen Architektur?
Im asiatischen Raum und in den USA spielt Feng Shui eine große Rolle. Viele Investoren oder Privatleute beziehen Feng Shui in ihre Planung für Büroeinrichtungen und Häuser ein. Allerdings gilt das nicht für China. In der Kulturrevolution wurde auch Feng Shui als Kapitalismus bezeichnet.

Feng Shui als Tradition ist seitdem in China fast verschwunden, heute interessieren sich nur noch wenige dafür.

Welches sind typische Elemente der asiatischen bzw. im Speziellen der chinesischen Architektur? Wie unterscheidet sich die Architektur Asiens von der europäischen?
Das ist ein großes Thema. Das typische Element der asiatischen bzw. im Speziellen der chinesischen Architektur ist meiner Meinung nach die Pavillon-Struktur. Der Unterschied zwischen der Architektur Asiens und der Europäischen ist meines Erachtens die stärkere Offenheit der traditionellen asiatischen Architektur zur Natur. Die europäische Architektur ist eher geschlossen, wie man am Beispiel von Burgen und Schlössern sehen kann. Die moderne Architektur kann man schwerer identifizieren.

Die chinesische Architektur hatte in der Geschichte viel Einfluss auf die Nachbarländer, z.B. Japan. Frank Lloyd Wright besuchte 1905 Japan und die dortige Architektur beeinflusste ihn seitdem stark. Von Frank Lloyd Wright zu Mies van der Rohe, von Norman Forster zu Frank O Gery, von Tadoando zum Water Cube bei den olympischen Spielen in Beijing: die moderne Architektur hat sich über die Kontinente hinweg entwickelt und weltweit ausgebreitet – eine zauberhafte Spiral-Entwicklung.

Lassen sich die Grundprinzipien von Feng Shui nur im Kleinen, z.B. bei der Gestaltung von Räumen, anwenden oder sind sie auch in größeren Dimensionen umsetzbar?
Es gibt viele Faktoren, die Wind und Luftfeuchtigkeit (Wasser) beeinflussen können, so z.B. die Position, die Kombination und die Beziehungen der Elemente. Feng Shui kann man in allen Dimensionen anwenden. Im Großen: von Gebäude zu Gebäude, von Gebäude zu Bäumen und zu Straßen, und von Siedlung zur Landschaft. Im Kleinen: von Öffnung (Tür, Fenster) zu Öffnung, von Möbeln zu Wänden, etc. Ganz wichtig sind Luftströme, da sie Menschen und auch die Räume und Gebäude, in denen sie sich aufhalten, beeinflussen.
Üblicher Weise gehen Architekturentwürfe u.a. von Stadtbau, Infrastruktur, sozialen Problemen, Funktion, Materialien, Energieeffizienz und Ästhetik aus. Feng Shui geht von Luftflüssen und ihrer Qualität (Feuchtigkeit) aus. Mit anderen Worten: von der Behaglichkeit. Es ist eine Ergänzung und hat das gleiche Gewicht wie die anderen Bereiche.
Es ist eine eigene Entwurfsdisziplin, die sich mit anderen Disziplinen wie z.B. nachhaltigem Design überschneidet. Es geht um eine Ganzheit, vom Mikroklima bis zum Universum. Ganz nach LaoZi‘s Ansatz: Menschen, Erde und Universum sind eins, die Ganzheit.

Gerade arbeiten Sie an der Fertigstellung Ihrer Doktorarbeit, die sich mit der Rolle der Natur in der traditionellen chinesischen Architektur beschäftigt. Wie sieht dieses Konzept aus und welche Rolle kann es bei der Entwicklung nachhaltigen Designs spielen?
Ich habe im Rahmen meiner Doktorarbeit zwei Design-Methoden basierend auf den traditionellen chinesischen Naturdefinitionen und Feng Shui Design-Kriterien entwickelt. Zunächst werden chinesische Naturdefinitionen mit der westlichen klassischen Physik (z.B. Newtons Bewegungsgesetze, Darwins Evolutionstheorie und Einsteins Relativitätstheorie) und schließlich mit der modernen Quantentheorie verglichen. Mit der Software „envi-met Feng Shui“ untersuche ich Design-Kriterien und kann zeigen, dass die Komposition der Architekturelemente das Mikroklima beeinflusst.

Im Weiteren geht es also um die richtige Platzierung von Gebäuden, aber auch um das Verhältnis von Bepflanzungen zu Volumen in Räumen und Stadtbau basierend auf der Drei Quantität Theorie im Feng Shui.

Auch bei der Entwicklung von nachhaltigen Designs spielen diese Konzepte eine Rolle, z.B. beim Luftfluss an den Ecken eines Gebäudes, wo sich durch Strahleneffekte Luftverschmutzungen am Gebäude sammeln, was auch unbequeme thermische Bedingungen im Innenbereich verursachen kann. Die Holzfassade an der Eckstelle auf dem Foto ist nach 4 Jahren eindeutig verschmutzt.

Gebäude

Nach Feng Shui benötigt das Gebäude einen Windschutz. An dieser Stelle sollten z.B. hoch wachsende Bäume für das Obergeschoss gepflanzt werden, die Bäume sollten bis zu den Fenstern reichen, gleichzeitig kann der Sauerstoff der Bäume die Luft des Obergeschosses qualitativ verbessern. Andernfalls sind das Obergeschoss und die Eckräume nach Feng Shui Kriterien nicht zum Wohnen geeignet. Um solche Probleme zu erkennen, sollte man bei der Entwurfsphase Feng Shui Kriterien berücksichtigen und rechtzeitig architektonische Lösungen finden.

Wie muss eine umweltgerechte und auf Nachhaltigkeit ausgelegte Architektur für die Zukunft aussehen?
Die Optimierung von Umweltschutz hat ein großes Potenzial. Man sollte Forschungen über die Grenzen von Kulturen hinweg ermöglichen und nicht nur westliches Wissen, sondern das Wissen der gesamten Menschheit einbeziehen.

Ich würde mir wünschen, dass die architektonischen Entwurfsmethoden von Feng Shui ein Pflichtfach im Architekturstudium werden. Die meisten Feng Shui Berater sind keine Architekten und ihre Beratungen im Zusammenhang mit Architekturentwürfen sind begrenzt. Es wäre notwendig, diese Entwurfsmethode systematisch zu entwickeln und im Design direkt zu verwenden.

Möchten Sie an dieser Stelle noch etwas zu Ihrer Ausbildung und Studienzeit an der Uni Karlsruhe sagen?
Gerne. Es war ein Glück, dass ich in Deutschland bzw. in Karlsruhe Architektur studieren konnte. Um es kurz zu sagen, es verlief sehr erfolgreich. Als Studentin habe ich zwei Wettbewerbe gewonnen und an vielen Ausstellungen teilgenommen. Meine Diplomarbeit wurde im Grassi Museum Leipzig drei Monate lang ausgestellt. Die Uni Karlsruhe ist eine sehr gute Universität und hat auch viele hervorragende Professoren. Leider wurde die Ausbildung nicht immer weltweit anerkannt, aber ich bin immer sehr stolz gewesen, dass ich in Karlsruhe studiert habe.

An dieser Stelle nun unsere Fensterfrage. Sie haben Büros an Standorten in den USA und China. Was sehen Sie, wenn Sie aus dem Fenster schauen?
Mein Büro in China liegt im 13. Stock im Zentrum von Tian Jin und man sieht vor allem Verkehr und moderne Kaufhäuser.

 

Jingtai Liu freut sich auch über Feedback unserer Leser:

http://www.archiunity.com, jingtai∂archiunity.com

 

 

November 2009